Gnadenlos sauber...
von Katja Wallrafen "Der Tagesspiegel", Berlin, vom 20.
März 2002 (gekürzt)
Fläche: 647,5 Quadratkilometer.
Einwohner: 4,1 Millionen
Anteil der Millionärshaushalte: 10%
Zugelassene Autos: 37 000
Ethnische Zusammensetzung: Chinesen: 77,7%. Malaien: 14,1%. Inder:
7,1%. Andere: 1,4%
Monatsverdienst eines Software-Ingenieurs:
3600 Singapur-Dollar (1 S-Dollar: 0,61 Euro)
Arbeitslosenquote: 3,8 % (2001)
Hinrichtungen: alle zehn Tage eine
Prügelstrafen: 60 pro Woche
Homosexualität: Bei Männern verboten, bei Frauen erlaubt, wenn sie
nicht öffentlich gezeigt wird
Wehrdienstverweigerung: Verboten
Öffentliches Rauchen: 1000 S-Dollar
Spucken: 1000 S-Dollar
Junk-E-Mails: 1000 S-Dollar plus
drei Jahre Gefängnis
Aids: Ausländer müssen nachweisen, dass sie nicht HIV-infiziert
sind
Klima: Tropisch. Das ganze Jahr über 24 bis 31 Grad. Hohe
Niederschläge
Urlaub: Drei Tage Singapur, Flug, Vier-Sterne-Hotel ab 760 Euro
Singapur ist ein Hafen der Stabilität: transparent und effizient, nie
korrupt und immer verlässlich. Die vergleichsweise wenigen Beamten sind
hochbezahlt, erledigen alle Arbeit umgehend, auch wenn sie einen Teil der
Nacht opfem müssen und gelten als unbestechlich. Dafür genießen sie
Privilegien. Auf Korruption stehen zugleich horrende Strafen. Singapur hat
die beste Gesundheitsversorgung in Asien und kennt keine tropischen
Krankheiten; in Singapur gibt es glänzend bestückte Buchläden,
Klassik-CD-Shops - und alle westlichen Lebensmittel. Die Kaufhäuser haben
mit die beste Auswahl an Designerläden. Ausländer lieben die Stadt, weil sie
sich als Firmenentsandte oder im diplomatischen Dienst einen Standard
erlauben können, der weit über deutsche Verhältnisse hinaus geht:
Hausmädchen und Swimming-Pool inklusive.
Den Aufstieg ihres Landes schreiben die Singapurer vor allem ihrem
Staatsgründer zu: Lee Kuan Yew. Der Nachfahre chinesischer Einwanderer
zähmte gleich zu Beginn seiner Amtszeit die sozialen Spannungen in der
ethnisch heterogenen Bevölkerung des jungen Staates und schwor Chinesen (77
Prozent der Bevölkerung), Malaien und Inder auf die Entwicklung eines
nationalen Gefühls ein. Mit eiserner Disziplin und rhetorischen Appellen an
den Zusammenhalt der Singapurer sowie mit strengen Gesetzen gewann die
"People Action's Party" (PAP) des Staatsgründers das Vertrauen der
Bevölkerung - und hat es bis heute nicht verloren.
Der 78-jährige Lee hat das Zepter längst seinem Nachfolger Goh Chok Tong
übergeben. Ein Grund für den ungehinderten Aufstieg Singapurs ist seiner
Ansicht nach die Abwesenheit von Widerstand, Zweifeln, demokratischem
Protest: zur Entwicklung von Reichtum auf der Grundlage kollektiv und
unbedingt geltender Grundsätze. Singapur lebt vor, was Konfuzianismus meint:
Autoritäten achten, Traditionen wahren, die Ältesten ehren und das
Gemeinwohl fördem. Das mag in westlichen Ohren altmodisch klingen; aus
Singapurs Sicht jedoch ist eher ein Individualismus fragwürdig, der die
Erfüllung seiner Bedürfnisse über die gedeihliche Entwicklung des Kollektivs
stellt. Bis heute kann sich die PAP, begleitet von den freundlichen Worten
der regierungsnahen Presse, als umsorgende Staatspartei präsentieren, die
nichts mehr auf der Welt interessiert als das Wohl und die Zukunft einer
stolzen Nation.
Allein der Respekt vor der Lee-Partei und ihres Monopols auf Posten,
Karrieren und Einfluss hält Kritiker davon ab, sich als Konkurrenten zu
bewerben. Ein Journalist, der es dennoch wagte, steht vor Gericht und sieht
horrenden Entschädigungszahlungen wegen Beleidigung entgegen. Natürlich gibt
es Singapurer, die die soziale Kontrolle als Entmündigung empfinden.
Gewerkschaften sind zu Regierungsinstrumenten umfunktioniert worden,
ausländische Zeitungen werden zensiert.
Die Mehrheit der Bevölkerung aber ist mit ihrem Staat und der Regierung
zufrieden: Die Arbeitslosenzahlen sind niedrig, es gibt einen gut
ausgebildeten, zufriedenen Mittelstand, ein soziales Netz und einen
egalitären sozialen Wohnungsbau. Über dem Alltag lacht die tropische Sonne,
die Müllabfuhr kommt täglich; Singapur ist stolz auf den blauen Himmel und
die orchideengeschmückten Straßen und seine Effizienz bei Amtsgeschäften.
Die Kriminalitätsrate ist niedrig, das subjektive Sicherheitsgefühl viel
größer als in Berlin, Paris oder New York. Die U-Bahn ist klinisch sauber;
es gibt keine zerkratzten Fenster, keine Graffiti. Schläge mit dem Rohrstock
sind als Strafe für Vandalismus an der Tagesordnung; und statistisch
gesehen, wurde in den vergangenen zehn Jahren alle zehn Tage ein Todesurteil
am Galgen vollstreckt. Aber, so sagt Suzie Tay: "Wem es hier nicht gefällt,
muss hier nicht leben." |